Regeln im Rollenspiel (Teil 4) – Schlechte Regeln, „Handwedelei“ und Conflict-Resolution

… oder: „Spielwelt-Regel-Realismus versus »dramaorientierte« Regeln“. Seit langer Zeit treibt mich dieses Thema schon unterschwellig um, ohne dass ich das eigentliche Problem so genau benennen konnte. Es geht um die Frage, warum manche Regeln bei konsequenter Anwendung die Glaubwürdigkeit der Spielwelt in besonderem Maße aushebeln – beispielsweise, wenn SR4-Watcher nicht mal sinnvoll zum Pizzabestellen schicken kann, Krieger, die frisch von einer DSA-Akademie kommen, bei jedem dritten Angriffsversuch scheitern, oder warum Charaktere mit schlechten Klettern-Werten zu Plotbustern werden können – und um eine prominente Alternative, mit der man das Problem lösen oder zumindest abschwächen kann. Wie immer mit Disclaimer: ich will keine der genannten Systeme oder Spielweisen schlechtmachen, sondern nur als wertfreie Illustrationen verstanden wissen.

 

Im RSP-Blogs-Forum läuft seit einiger Zeit eine Diskussion mit dem Titel Handwedeln = Interpretieren?, in einer alten Folge hatten wir bei Sphärengeflüster mal über Sinn und Unsinn von Proben geredet, und auch Falks Beitrag Wer Wind sät… beinhaltet für mich unterschwellig einen Teil des Themas. Dem Kern der Sache versuche ich mich jetzt systematisch zu nähern. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit oder direkte Herleitbarkeit aus den Links. Es geht, mal wieder, um die Beziehung zwischen den Regeln im Rollenspiel, der Spielwelt und diesmal vor allem auch um das Geschehen am Spieltisch. Das Thema ist ziemlich umfassend und beinhaltet noch deutlich mehr Aspekte, als ich hier darstellen kann, deswegen mache ich den Zugang mal etwas quer, so wie ich persönlich auf das Problem gestoßen bin.

 

Drei Beispiele für klassische Rollenspielprobleme

Vor allem unerfahrene Spieler und Spielrunden leiden häufig unter konsequenter Regelanwendung. Angenommen, eine Anfängerrunde ist „Spielregeln“ als „Spielregeln“ (so wie im Brett- oder Kartenspiel) gewohnt, neu im Hobby, und erwartet, dass Dinge, die im Regelbuch stehen, die Funktion des Spiels beschreiben. Das ist, so aus unverdorbener Perspektive gesehen, erstmal vernünftig, nicht naiv. Wenn im Regelbuch steht, dass mit der Fertigkeit „Menschenkenntnis“ Lügen des Gegenübers durchschaut werden können, und die Fertigkeit „Klettern“ benötigt wird, um sowas wie eine Mauer zu überwinden, klingt das ja auch erstmal klar und sinnvoll. Aber.

„Nach Regeln gespielt ist jetzt der Plot kaputt.“: Der Spielleiter bereitet ein Detektivabenteuer vor. Einer der Charaktere kommt gleich zu Beginn des Spiels auf die „dumme“ Idee, einfach mal einen eher harmlos scheinenden Verdächtigen, der in Wahrheit aber der Täter ist, mit einer Menschenkenntnis-Probe oder einem Hellsichtszauber zu belegen – und siehe da: kritischer Erfolg. Fall gelöst, Abenteuer vorbei. Oder: die Helden verfolgen den Bösewicht zum finalen Showdown; der hat sich mit seiner Geisel auf eine schroffe Felsklippe zurückgezogen und beschwört Donner, Blitz und Dämon – nur die Helden können ihn jetzt noch aufhalten! Aber: keiner schafft die Klettern-Probe. Auch nicht beim zweiten Anlauf. Dann patzt noch der Gruppenkämpfer und bricht sich dank ausgewürfeltem Schaden beim Sturz das Bein. Die Geisel wird herabgestürzt, der Dämon erscheint, lachend triumphiert das Böse.

Oder: Die Helden stehen zum ersten Mal dem liebevoll ausgearbeiteten Schurken gegenüber, welcher sich bereits als zentraler Gegenspieler der Kampagne abzeichnet, und mit dem der Spielleiter noch hochdramatische Dinge vorhat – deshalb hat er den Ort der Begegnung so gewählt, dass die Helden ihn gar nicht erst physisch erreichen können, starker Wind und Regen haben die Bögen und Armbrüste unbrauchbar gemacht; gerade setzt er zum großen Evil-Monolog an, da zückt der Magier seinen Feuerstrahl, der, wider Erwarten des Spielleiters, nicht 10, sondern 20W6 Schaden verursacht, und sein Spieler kommentiert das für ihn nur anhand der weit aufgerissenen Augen des schnappatmenden Spielleiters absehbare Problem mit: „Wos schaugst’n so, du host doch de letzt’n zwoa Moi g’sogt, mir hom bis zum nachst’n Abenteuer zwoa Monat Zeit und kenna steigern wos ma woin…“.  Solche oder ähnliche Situationen haben die meisten vielleicht schon mal erlebt – oder hätten sie erlebt, wenn der Spielleiter nicht an den Würfeln gedreht, mit rollenden Augen ein „ok, ihr kommt da jetzt auch so hoch…“ gemurmelt oder den Bösewicht im letzten Moment doch noch ein unvorhersehbares Schutzartefakt aus dem Hintern ziehen lässt.

Die Erfolgswahrscheinlichkeiten sind ziemlich weird: Auf dem Hamburger Rollenspielseminar 2013 gab’s einen Vortrag mit dem schönen Titel Varianz und Statistik von Würfelsystemen, ebenso wie die Tanelorn-Diskussion Warum ich keine Systeme mag, die über die Würfelsorte skalieren. Ich fasse das Problem mal kurz am Beispiel von Savage Worlds zusammen, da es die Essenz dessen als Feature beinhaltet: Proben werden dort mit verschiedenen Würfeln abgelegt, und je besser ein Charakter ist, desto größer ist der Würfel, den er benutzen darf. Begonnen wird beim W4, wird der entsprechende Wert gesteigert, wird er zum W6, dann zum W8 und so weiter. Würfel können außerdem explodieren, beim höchstmöglichen Ergebnis darf also nochmal gewürfelt und dieses Ergebnis addiert werden. Selbst mit dem schlechtesten W4 lässt sich also ein Wert von 20+ erreichen, und auch mit dem bestmöglichen Charakterwert W12 scheitert eine normale Probe (gegen Zielwert 4) in 1/4 der Fälle. Natürlich ist SW nicht auf „realistisches“ Spiel ausgelegt, aber das Problem ist doch recht offensichtlich (auch wenn man die Wahrscheinlichkeitssprüge durch Würfelexplosion mal außen vor lässt): die Werte der Charaktere geben keine verlässliche Auskunft über ihre Fähigkeiten, und das Verhältnis Fähigkeiten/Ergebnisse ist entgegengesetzt dem, was man aus der „wirklichen Welt“ kennt – nämlich, dass Anfänger in SW eine geringere Streuung ihrer Leistungen haben als Profis. Das kann zu einer Menge ziemlich verrückter Spielsituationen führen, und das mit gar nicht so geringer Wahrscheinlichkeit – und das kann ein ziemlicher Immersionsbrecher sein, der nicht unbedingt zum Aufbau eines stabilen Gemeinsamen Vorstellungsraums (shared imagination space, SIS) beiträgt. Sicher sind die SW-Regeln „fast“, aber „fun“… hängt dann doch sehr von speziellen Ansprüchen ab – weil der Ausgang von Handlungen wesentlich ungewisser ist, als man das „aus der Realität“ gewohnt ist.

„Aber so kann doch die Spielwelt gar nicht funktionieren…!: Ich war mal in einer Shadowrun3-Runde, in welcher ein Spielleiter jedes Mal (*jedes* Mal), wenn sich ein Charakter ans Steuer gesetzt hat, eine Probe auf Autofahren verlangt hat. Ohne Erleichterungen, natürlich; die lapidare Begründung: „Wer was machen will, muss halt würfeln“. Den Effekt kann man sich vorstellen – der elfischen Magierin sprang ständig ihr Auto nicht an, jede zweite abendliche Rollerfahrt zum Stuffershack wurde mit einem Knöllchen garniert, und ähnliche Dinge bereicherten auf amüsante Weise den Alltag der Runner. Ein besseres Beispiel, das in die gleiche Kerbe schlägt, habe ich schon ausführlich erwähnt – Watchergeister in Shadowrun4. Alternativ kann man auch die Kampfwerte von DSA-Charakteren der ersten paar Stufen nehmen – da werden junge Leute, jahrelang in Vollzeit hochprofessionell auf einer Kämpferschule ausgebildet, und wenn sie rauskommen… haben sie einen Attackewert von 14. Was heißt, dass sie, sobald ihr Gegner sie anschaut und sich minimal bewegt, schaffen sie es im Schnitt in zehn Sekunden nur zweimal, ihn durch ihre Angriffe so weit in Bedrängnis zu bringen, dass er überhaupt einen Paradewurf ablegen muss (klingt besser als „danebenschlagen“, oder?). Und wenn dann, mit leicht steigender Spielerfahrung, die Spieler anfangen, mal zu hinterfragen, wie eigentlich die Spielwelt aussehen müsste, wenn dort *jeder* nach diesen Regeln spielen würde, immer und überall, mag das die einen zunächst amüsieren. Dann sucht man vielleicht, nachdem man das Regelwerk jetzt ohnehin nicht mehr ernst nimmt, zunächst mal nach Lücken und versteht das als Erweiterung des eigenen Handlungsspielraums („von meinem Dämon kann ich doch offensichtlich dank seiner KK von 1000 einfach Wände einreißen lassen – warum nicht auch die Burg von dem arroganten Baron, der uns letztens nur fünf Dukaten für die Räuberbande gegeben und uns dann rausgeschmissen hat? Anscheinend hat in Aventurien vor Borbarad ja niemand über die Nutzung von Dämonen für sowas nachgedacht…“). Dann stellt man irgendwann fest, dass trotz dicker Hausregeln eigentlich kein aktuelles System mit auch nur ansatzweise simulatorischen Ansprüchen, diese erfüllen kann.

 

Schlechtes Regeldesign, Metagame-„Kontamination“ der Spielwelt und die sich in den Schwanz beißende Katze

Die meisten Regelwerke sind sich ihrer Unzulänglichkeiten bewusst. Dass viele Regelwerke heute „ja gar keinen simulatorischen Anspruch“ mehr haben, will ich mal außenvorlassen – das hat in meinen Augen vor allem (aber nicht nur, eine Menge Pseudotheorie und Waldorf ist bestimmt auch dafür verantwortlich) historische Gründe, wie ich in Teil 1 und Teil 2 dieser Serie dargestellt habe. Die sogenannte „Goldene Regel“ lasse ich mal ganz außen vor. Dass das alle überhaupt ein Problem ist, ist auch gar nicht so trivial als solches zu erkennen, wenn man sich schon über längere Zeit daran gewöhnt hat, spielwelt-unrealistische Regeln zu benutzen.

Besonders aufschlussreich sind Passagen in Regelwerken, wo es darum geht, „wann“ eigentlich eine Probe abgelegt werden muss, denn sie ist eine direkte Folge eines Regeldesigns, das nicht auf dem Spielwelt-Regel-Realismus fußt. Wohl wissend, dass die Regeln von [[hier System einsetzen]] die Spielwelt nicht so abbilden können, wie sie sein soll (was bedeutet: wenn in jeder Situation die Regeln angewendet werden würden, würden auch gute Autofahrer alle Wochen einen Unfall bauen, Bauern mit explodierenden Mistgabelwürfeln Erzdämonen flachlegen und Handwerker Wochen brauchen, um einen Stuhl herzustellen – man suche bei Bedarf selbst passende Regelsysteme zu diesen Beispielen), werden meist Passagen eingeführt wie: „Proben werden dann abgelegt, wenn etwas Wichtiges auf dem Spiel steht / der Ausgang ungewiss ist / eine Situation spannend ist (oder sein soll)“ oder ähnliches. Naja, wenn dem so ist, ist es natürlich nicht schlimm, wenn auch die Besten der Besten bei jeder vierten Probe scheitern, oder völlige Anfänger in einer Fähigkeit dank kritischer Ergebnisse zu ungeahnten Leistungen fähig sind. Scheinbar. Wann nun genau eine Probe angebracht ist, wird damit letztlich auf den Spielleiter abgewälzt, und seine Verantwortung ist es, die Schwammigkeit der Festlegung des angemessenen „wann“ in konkrete Spielsituationen zu übersetzen. Mit dem Ergebnis, dass die Spielwelt nicht verlässlich ist, da der Kernmechanismus klassischer Rollenspielregeln (Proben) durch Metaüberlegungen („spannende Situation“, „etwas Wichtiges steht auf dem Spiel“ etc.) gleichermaßen „kontaminiert“ wird.

Das Absurde an der Sache ist, dass sie gleichzeitig sowohl Grund wie auch Lösung auftretender Probleme im Spielgeschehen ist – diese Art des Spielleiterentscheids, anhand von unzureichend definierten Kriterien festlegen zu müssen, wann eine Probe überhaupt nötig ist, ermöglicht, von den schlechten Regeln zu abstrahieren und erlaubt ihre Aussetzung, wenn sie „dem Spielspaß“ nicht dienlich sind – allerdings nach den jeweils individuellen Vorstellungen des Spielleiters. So kommt im besten Fall ein recht regelarmes Spiel zustande, im schlimmsten Fall aber maximale Beliebigkeit, die schlechtes Railroading fördern kann (konsequenterweise z.B. jedesmal, wenn die Spieler etwas tun, das der geplanten Handlung des Spielleiters entgegenläuft, „steht der Plot auf dem Spiel“) – zudem ist die Sache auch noch in sich unstimmig, da der SL gleichzeitig zur Entscheidung des „ob überhaupt“ einer Probe in der Regel auch noch eine „objektive“ Schwierigkeit für diese z.B. in Form eines Zuschlags, festlegen muss. Ein Spiel mit solchen Regeln, die nicht auf die Abbildung der Spielwelt abzielen (SRR, wir erinnern uns), kann per se nur funktioieren, wenn der Spielleiter auswählt, wann sie zum Einsatz kommen sollen und wann nicht – aber nach welchen Kriterien er das tut, daraus können ziemlich schnell Reibungspunkte in der Runde entstehen. Und förderlich für die Immersion in den SIS ist es auch nicht, wenn die Welt mal so, mal so funktioniert, und Charaktere meist genau dann scheitern, wenn es mal wirklich um was geht.

Das große Problem ist, dass die meisten Designer anscheinend vor diesem Problem schon lange geistig kapituliert haben, anstatt es zu lösen – ohne den Anspruch, zuverlässige Regeln zu machen, und mit dem Gedanken an den Spielleiter, der’s schon richten wird für seine Runde, kann man natürlich viel unbeschwerter Regeln designen, die gar nicht erst einem Spielwelt-Realitäts-Check standhalten müssen, weil sie ja ohnehin nicht dafür gedacht sind, dass man sie konsequent anwendet. Damit beißt sich die Katze in den Schwanz, und die Dummen sind wieder die, die gern saubere und verlässliche Regeln hätten; die können nur drauf hoffen, dass ihr GMV mit dem ihrer Mitspieler ausreichend übereinstimmt, so dass sie auch mit schlechten Regeln spielen und einen kongruenten SIS hinbekommen können. Das wiederum führt dazu, dass man die (schlechten) Regeln auf Dauer eh nicht mehr so ernst und wichtig nimmt, was wiederum die Designer… und so weiter. Ein echter Teufelskreis, der vielleicht zwangsläufig irgendwann bei Freeform oder völligem Verdruss endet.

[[Exkurs zu Triakonta: Bei Triakonta hatte ich von Anfang an den Anspruch, dass die Regeln auch bei permanenter Anwendung eine funktionierende Spielwelt abbilden können sollen. Das geht dort über die Optionalregel von „automatischen Erfolgen“ in Kombination mit dem statischen Probenmechanismus. Wenn eine Aufgabe wirklich einfach ist, hat sie beispielsweise eine Schwierigkeit von 0 – das heißt, dass ein Charakter mit soliden Grundkenntnissen (Fertigkeitswert 15) einen Zielwert von über 30 bekommt. Bei einem Zielwert von 30+ erhält man – ohne Würfeln, denn höher als 30 geht ja nicht – einen automatischen Erfolg mit maximaler Qualität. Kritische Würfe können übrigens optional auch nur dann auftreten, wenn der Zielwert in einem bestimmten Bereich liegt. Mit steigendem FW steigt natürlich auch der Schwierigkeitsbereich deutlich an, in dem der Charakter automatisch Erfolg hat, was nebenbei dazu führt, dass viele Proben, die man zu Beginn seiner Laufbahn als Anfänger noch ablegen musste, später gar nicht mehr gewürfelt werden müssen – aber nicht aufgrund von Metaspielwillkür, sondern über einen zuverlässig verankerten Regemechanismus.]]

 

Conflict- statt Task-Resolution – Scheinlösung oder Alternative?

Die Frage, wann man eine Probe ablegen muss, ist also bereits ein schwerwiegendes Problem, das bei hinreichender Schwammigkeit einen SRR-Anspruch per se aushebeln kann. Schon vor längerer Zeit wurde aber mal ein Konzept, wenn man’s so nennen will, entwickelt (wenn wer weiß, von wem das ursprünglich stammte, immer her damit in den Kommentaren, gerne auch mit Originalquelle), das einen Teil der am Anfang dieses Artikels skizzierten Probleme vielleicht lösen kann. Alten Theoretikerhasen ist das folgende bestimmt bekannt, und ihr könnt die folgenden zwei Absätze überspringen.

Sagen wir, das Regel-Kind ist in den Brunnen gefallen (und zwar auf dem abgelegenen Feld, wo keiner je hinkommt). Im klassischen Regelverständnis bräuchte es das Äquivalent einer Klettern-Probe, um wieder herauszukommen. Schafft es die nicht, verhungert es halt – und war es ein SC, dann ist das Spiel für ihn halt hiermit vorbei. Irgendwie kann das unbefriedigend sein. Hilfskonstruktionen, die das Problem etwas mildern, sind beispielsweise „du darfst auch mehrere Versuche machen, jeweils mit steigendem Malus“, oder „gibt einen Schicksalspunkt aus, dann bekommst du einen zweiten Versuch“, oder „gib einen Schicksalspunkt aus, dann bekommst du X Punkte Erleichterung“. Diese Sichtweise heißt „Task-Resolution“ (TR): eine Aufgabe kann gelöst werden (oder auch nicht), und eine Probe bestimmt über Erfolg oder Misserfolg einer Aktion, und die Folgen ergeben sich aus Spielsituation oder Spielleiterentscheid. Das ist die „klassische“ und naheliegende Interpretation von Rollenspielregeln als Funktion der Spielwelt.

Das Gegenstück hierzu heißt „Conflict-Resolution“ (CR). Das Konzept haben wir damals im Podcast schon versucht zu erklären, inzwischen bin ich auf eine kurze Zusammenfassung der Forge-Essenz (Threadstart-Post lesen reicht) gestoßen. Effektiv bedeutet CR in aller Kürze, dass schon vor einer Probe der „Stake“ (also der Einsatz, was passiert bei Erfolg und Misserfolg) offengelegt wird. Dieser Mechanismus wird in erster Linie bei storylastigem Spiel angewandt, kann aber auch Plotsackgassen-durch-misslungene-Proben in klassischen Rollenspielen vermeiden. Am Beispiel des Brunnenkindes wäre beispielsweise CR: „Mach eine Klettern-Probe, um wieder aus dem Brunnen rauszukommen – wenn sie misslingt, bekommst du dabei Schrammen, viel Dreck und blaue Flecken ab und erhältst den Zustand „Weinend“.“ Oder am Beispiel von weiter oben: Wenn die SCs die Klettern-Probe auf die Ritualklippe nicht schaffen, bekommen sie beim Aufstieg 2W6 SP und müssen damit geschwächt in den Endkampf gehen. Oder: wenn der Watchergeist seine Wahrnehmungsprobe nicht schafft, verpasst er nicht den Empfänger der Nachricht, sondern verspätet sich vielleicht nur. Die Idee dahinter, die stakes im Voraus festzulegen, ist, das Spiel am Laufen zu halten – „complication instead of failure„erlaubt ein kontinuierliches, spannendes Geschehen, in dem sich keine Sackgassen auftun, wie es etwa passieren kann, wenn der SL sich einfach nicht überlegt hat, was passieren könnte, wenn die Spieler alle ihre Wahrnehmungsproben versemmeln und so den entscheidenden Hinweis übersehen.

Auf den ersten Blick klingt das CR-Konzept ziemlich gut; man vermeidet damit Probleme, die bei TR-Proben auftreten können, indem man sich darauf einigt, dass nicht misslungene Proben Szenen oder ganze Abenteuer ruinieren sollen. Auf den zweiten Blick könnte man CR aber auch als schlichte Transparenzmachung für Railroading, schlechtes Handwedeln und Spielleiterwillkür bezeichnen… je nach dem, wer die Stakes wie festlegen darf.Es gibt zunächst das generelle Problem, dass ein wirklich offener Handlungsfortgang in einem Spiel allein mit CR kaum möglich erscheint; zwar bestimmen Proben den Ausgang einer Handlung, aber da vorher schon klar ist, welche Folgen Erfolg oder Scheitern haben, geht auch ein guter Teil Spannung und vielleicht auch kreatives Potential, das sich vielleicht vor allem im spontanen Auseinandersetzen mit unvorhergesehenen Ereignissen enwickelt, verloren. Das ließe sich theoretisch dadurch beheben, dass man sowohl TR wie CR-Proben in sein Spiel einbaut, der Spielleiter allein die Stakes festsetzt und die Spieler darüber vorher eben nicht aufklärt (was eigentlich der Kurzdefinition zuwiderläuft). Allerdings fällt die Illusion des „wirklich-scheitern-könnens“ spätestens dann, wenn der SL die Folgen einer misslsungenen Probe als zumindest relevanten Teilerfolg mit Komplikationen beschreibt und die Spieler merken „oha, hier sind wir also grad am Plot, der nicht ruiniert werden sollte“. Prinzipiell ist CR, so angewandt, also ein gutes Hilfsmittel, wenn man Railroading nicht vermeiden kann.

Das Festlegen der Stakes durch die Spieler dagegen kann ich mir in einem klassischen Rollenspiel kaum dauerhaft sinnvoll vorstellen. In Einzelfällen mag das klappen, am besten auf freiwilliger Basis: „der NSC provoziert mich ziemlich übel, ich würfel mal auf Selbstbeherrschung erschwert um Jähzorn, wenn das misslingt, hau ich ihm eine rein“. Aber sobald man etwas komplexere Regelbereiche hat und, vor allem, je konkreter die geforderten Proben werden (z.B. Kampfwürfe, Zauberproben etc.), macht CR oft einfach keinen Sinn: „ich würfel mal einen Angriff, wenn der misslingt, treff‘ ich ihn halt mit 2 Schaden weniger“ oder „ich zauber mal BLICK IN DIE GEDANKEN, wenn das misslingt, dann seh‘ ich in seinem Kopf halt auch Dinge, die ich eigentlich nicht wissen wollte“ scheint mir eher absurd.

CR funktioniert umso besser, je abstrakter Proben und Werte sind – wobei es auf der anderen Seite auch zu einem „Mikro-zu-Makro-Shift“ kommen kann, und Proben zunehmend weniger einzelne Aufgaben und Ereignisse abbilden, sondern Situationsketten bis hin zu ganzen Szenen. Das ist gleichermaßen ein kurioser Kreislauf, wie er schon weiter oben beschrieben wurde: je abstrakter und weniger „realistisch“ die Regeln, desto besser funktioniert CR und desto schlechter TR – und je mehr eine Gruppe CR favorisiert, desto besser kommt sie mit „nicht-realistischen“ Regeln klar.

CR ist damit im Endeffekt eigentlich nichts anderes als „Handwedeln mit Ansage“ bzw. ein Werkzeug, mit dem Spielleiter weit eleganter Plots ohne vorgesehene Abzweigungen handhaben können, als etwa durch Würfeldrehen oder bloße Regelignoranz. In diesem Sinne hat sie durchaus ihre Vorzüge, aber als Grundlage eines ergebnisoffenen, mehr an der Spielwelt als an vorgesehenem Drama (also auf der Metaebene angesiedeltem Spiel) orientierten Rollenspiels kann ich sie mir dagegen eher schlecht vorstellen; CR hebelt den Anspruch an gute Regeln dadurch aus, dass es von vornherein mit nicht-realistischen Regeln besser funktioniert und in sich keine Verlässlichkeit von Werten und Probenmechanismen vorgibt, sondern dieses wesentliche Element von Rollenspielregeln von vornherein auf die Metaebene auslagert. Zudem sollte man, bevor man sich aktiv für oder gegen CR entscheidet, bereits wissen, ob die benutzten Regeln überhaupt kosequent TR-fähig wären, ohne die oben angesprochenen Probleme zu produzieren – und zu dieser Erkenntnis kommt man meistens erst über einen gewissen Leidensweg.

CR ist keine echte Alternative zu guten Regeln, sondern ein Hilfskonstrukt, mit dem man schlechte Regeln (im Sinne von Spielwelt-Abbildung) spielbar machen kann, ohne sie verbiegen oder ignorieren zu müssen. Die Verantwortung, die ein Regelsystem für die Spielwelt übernehmen können sollte, nämlich Abbildung und Formung des Gemeinsamen Vorstellungsraums (SIS), wird von vornherein nicht wahrgenommen – ob das ein Bug oder ein Feature ist, hängt vom Spiel und dem Stil der Gruppe ab.

Fakt ist aber, dass Regeln, mit denen konsequentes TR (in einem bestimmten Setting, und, wie schon an anderer Stelle gesagt, erstmal unabhängig vom Detailgrad) gespielt werden könnte, besser sind als solche, die nur nach CR funktionieren. Denn TR-Regeln kann ich auch „guten Gewissens“ handwedeln bzw. ignorieren in dem Wissen, dass sie Ergebnisse produzieren würden, die dem GMV bzw. Setting entsprechen, und ich kann sie für eine CR-orientierte Spielweise benutzen, wenn ich will. Aber mit Regeln, die von vornherein nur auf CR ausgelegt sind (ohne SRR-Anspruch), lässt sich kein konsequentes TR betreiben.

 

Vorläufiges Fazit: Heutzutage kommt kein System ohne „Handwedelei“ aus.

Und um den Kreis zum Anfang zu schließen: im Prinzip scheint mir jedes Rollenspiel, das keine verlässlichen Regeln hat, die man in jeder entsprechenden Situation guten Gewissens anwenden kann (weil sie verlässliche und passende Ergebnisse produzieren), und sich deswegen bei der Frage danach, wann Proben abgelegt werden sollen, auf „weiche“ Faktoren wie Drama oder Einsatz herausredet, auf CR statt TR ausgelegt. Damit stehlen sich auch klassische System von vornherein irgendwie aus der Verantwortung.

Oder?

Letztlich geht es um den Anspruch, den man an ein Regelsystem hat: soll ein Regelsystem die Spielwelt abbilden, oder nur der Regulierung des Spielgeschehens dienen? Was in der Handwedeln = Interpretieren?-Diskussion im Forum bereits anderslautend angeklungen ist: Es geht um die grundlegende Frage, ob man Regeln im Rollenspiel eher aus „juristischer“ oder aus „naturwissenschaftlicher“ Perspektive betrachtet. Dabei sollte man auch psychologisch relevante Komponenten (Suche nach Kohärenz, Lernen anhand von Kontingenz und so weiter) nicht außer Acht lassen – aber das führt an dieser Stelle zu weit.

Mit dem Thema bin ich noch nicht durch, und es muss noch weiter vertieft werden – aufgrund der Länge des Artikels aber nicht hier und heute. Zunächst ging es mir hier erstmal darum, zu zeigen, dass Spielregeln und Spielweisen durchaus zusammenhängen, und die Probleme, die viele mit harter Regelanwendung haben, „heutzutage“ nicht mehr auf der Regel-Ebene, sondern auf der Metaebene (durch Einzug der Extraschicht „Relevanz“ im Sinne von Spannung, Drama, Story und so weiter) gelöst zu werden versuchen. Das ist ein möglicher und inzwischen wohl auch bewährter Weg, der natürlich storylastigen Systemen ohne Anspruch auf SRR sehr zugute kommt – der aber gleichzeitig dafür sorgt, dass die Entwicklung guter Regeln, die unter einem permanenten TR-Anspruch benutzt werden können, seit langer Zeit stagniert. Auch theoretische Diskussionen wie die verlinkte um die Stochastik von Würfelsystemen kommt meiner Ansicht nicht zum wesentlichen Punkt – denn der liegt deutlich tiefer als die Wahl, ob man W20, 2W6 oder einen W100 verwenden will. Die Bedeutung des Zufallsmechanismus (Würfel, Karten oder anderes) sollte auch noch einmal tiefgehender untersucht werden. Ebenso die Sache mit der Bedeutung verlässlicher Regeln für den SIS.

 

Das war wieder eine trockene Nummer, danke für eure Ausdauer, wenn ihr’s bis hierhin geschafft habt. Es gibt sicher viel zu diskutieren – etwa, ob ihr diese enge Verbindung zwischen dem Anspruch von Regeln, ihren Ergebnissen und der notwendigen Spielweise (TR vs. CR) nachvollziehen könnt, oder ob ihr das ganz anders seht. Diskussionsbeiträge in die Kommentare, oder im Beitrags-Thread im RSP-Blogs-Forum!

22 Kommentare zu “Regeln im Rollenspiel (Teil 4) – Schlechte Regeln, „Handwedelei“ und Conflict-Resolution

  1. Chris Beier sagt:

    „Fakt ist aber, dass Regeln, mit denen konsequentes TR (in einem bestimmten Setting, und, wie schon an anderer Stelle gesagt, erstmal unabhängig vom Detailgrad) gespielt werden könnte, besser sind als solche, die nur nach CR funktionieren. Denn TR-Regeln kann ich auch “guten Gewissens” handwedeln bzw. ignorieren in dem Wissen, dass sie Ergebnisse produzieren würden, die dem GMV bzw. Setting entsprechen, und ich kann sie für eine CR-orientierte Spielweise benutzen, wenn ich will.“

    Vor allem eignet sich TR wunderbar zum railroaden (aka „mitwachsende Mauern“).

    @Automatische Erfolge: im Wesentlichen sind die auch wieder SL-Entscheid, da dieser ja die Schwierigkeiten festlegt. Und da hebt dann die Ploteisenbahn wieder ihr hässliches Haupt.

    Dass eine große Streuung von Ergebnissen auch bei hohen Kompetenzgraden *nicht* realistisch sei, wäre etwas, was noch zu beweisen wäre. Die Umstände können immer zu einer Verschiebung des Ergebnisses führen und eine genaue Einschätzung aller Faktoren ist nicht immer möglich (wenn man doch genug Zeit hat, um sich die Situation genau zu betrachten und alle Variablen rauszunehmen, dann ist das idR auch eine Situation, welche sowieso nicht gewürfelt wird).

    Was mich auch gleich zum größten Übel der modernen Rollenspielregeln bringt: ein Übermaß an a-priori festgelegten Situationsmodifikatoren. Solche Regeln führen zu dem ABERGLAUBEN, dass selbst eine unter Laborbedingungen stattfindende Situation (in der alle Boni und Mali vorher bekannt sind) noch von einer abstrakten Größe wie „Glück“ oder „Schicksal“ (repräsentiert durch die Würfel) beeinflusst wird – und dass dies irgendwie trotzdem „realistisch“ sein soll.

    Dabei verkennen solche Designernieten aber die Funktion der Würfel im Spiel: die der Abstrahierung von nicht-greifbaren und (bis zu einem gewissen Grad) unvorhersehbaren Faktoren, welche den Erfolg/Misserfolg der Handlung beeinflussen könnten. Dass man sich eben nicht um die Glitschigkeit der Wände in einen x-beliebigen Dorfbrunnen (oder ob es dort Moos gibt, oder ob Steine locker sind…) Gedanken machen muss, nur aufgrund der vagen Vermutung, dass einer der SC dort vielleicht hineinfallen könnte. Würfel sind Instrumente des Spielflusses – wer sie zur Simulation missbraucht (zumindest a-priori Simulation, im Gegensatz zu „Ich würfele und erkläre das Ergebnis durch die Beschaffenheit der Spielwelt“), der ist selber schuld.

    • RPGnosis sagt:

      Das mit der Streuung von Ergebnissen (Anfänger > Profi) ist empirisch wohl recht gut belegt, Paradebeispiel Bogenschießen; aber Kompetenzforschung ist jetzt auch nicht mein Spezialgebiet.

      Bei den zu genauen Situationsmodifikatoren bin ich ganz bei dir, allerdings denke ich, dass das keine Krankheit „moderner“ Rollenspielregeln ist, sondern ein Übertrag von eher altertümlichem Regeldesign, der meist einfach nicht konsequent hinterfragt wurde. Deswegen arbeite ich bei Triakonta ja auch mit den „weichen“ Faktoren der Modifikationsstufen, ohne in den meisten Fällen genau anzugeben, wann genau wieviele passen sind.

      Und die mitwachsende Mauer geht natürlich gar nicht… das ist aber mAn kein Problem der TR per se, sondern von Spielleitern, die Schwierigkeiten eben nicht möglichst objektiv, sondern nur im Blick auf ihre Schienenszenarien festsetzen.
      Dass Würfel auch den Zweck der Komplexitätsreduktion haben, ist ein wichtiger Punkt, den man nochmal vertiefen sollte – wobei mir persönlich wichtig ist, dass man das eben nicht überstrapazieren darf; es gilt eine Balance zu finden zwischen dem Wahrscheinlichkeitsraum, den der Würfel vorgibt, und dem, was die Probenregeln außenrum erlauben.

      • Chris Beier sagt:

        Wenn man sich solche Statistiken anschaut, wird aber schnell klar, wie sehr dort Ausreißer rausgerechnet werden müssen, damit es funktioniert. Das ist halt der Crux bei idealtypischen (= unrealistischen) Modellen. Kompetenzforschung ist afaik wieder ein ganz anderer (auch nicht unumstrittener) Bereich, welcher nichts mit physischer „Performance“ zu tun hat und auch, im Sinne der Klarheit und Offenheit des Diskurses, nicht in diesem Sinne als „buzzword“ verwendet werden sollte.

        P.S.: Im Grunde ist die Regel „Du musst X Würfe (TRs) schaffen, dann kann der SL dir keine weiteren TRs mehr entgegensetzen.“ nichts anderes als CR.

  2. Jan sagt:

    Hm, meiner Meinung nach gehören Dinge wie “bei misslungener Probe nennt ihr schaden, aber erreicht das Ziel“ zum Thema “fail forward“ und and nur ein Unterthema von CR. Bei dem geht es eher darum, dass nicht für eine Aufgabe, deren Erfolg in Frage steht, gewürfelt wird, sondern für einen Konflikt. Damit werden im Endeffekt mehrere Würfelwürfe zusammen gefasst und es bestimmt grundsätzlich mehr die Dramatik wann gewürfelt wird und weniger die Spielweltrealität.

    • RPGnosis sagt:

      Dramatik versus Spielrealität ist aber doch im Grunde was Anderes als die Unterscheidung conflict versus task und das wiederum eigentlich was Anderes als makroskopische versus mikroskopische Probenauflösung. Und taucht „fail forward“ in den alten Forge-Theorien überhaupt in der Form auf?

      Generell scheinen mir diese Unterscheidungen nicht ganz klar und eindeutig zu sein. Der Forge-Artikel, den ich gepostet habe, nennt die Essenz der CR eben das vorherige Ankündigen der Stakes, aber vielleicht habe ich auch einen zu unklaren Begriff vom Stake.

      Darüber würde ich im Forum gern ausführlicher diskutieren.

  3. Curima sagt:

    Ganz ehrlich – deine ersten drei Beiträge zum Thema hab ich gerne gelesen, aber hier haste mich etwa in der Mitte des Artikels durch zu viel Abkürzungen, RPG-Theorie-Sprech und Schachtelsätze verloren.

    • RPGnosis sagt:

      Bis zur Mitte sehe ich auf die schnelle nur 3 Abkürzungen – KK, SW und SIS, wobei ich letzteres nur als Abkürzung für den Gemeinsamen Vorstellungsraum angebe, KK alten DSA-Hasen geläufig sein sollte, aber bei SW habe ich ein paar Sätze vorher vergessen, das als Abkürzung für „Savage Worlds“ klarzumachen… die relevanten Theorieerklärungen hätte ich gedacht anschließend recht ausführlich gemacht zu haben.

      Besteht denn generell hoher Bedarf an einem „RPGnossar“? Das Problem ist bei vielen dieser Konstrukte halt, dass es eben gar keine einheitlich akzeptierten Definitionen gibt, darum versuche ich ja auch die für mich jeweils relevanten (hier conflict- und task-resolution) einzeln in Artikeln zu erklären, so wie ich sie verwenden würde.

      Aber ich nehme mir deine Kritik zu Herzen, vor allem mit den Schachtelsätzen, danke dafür.

      • Curima sagt:

        Ich bin irgendwie bei dem Teil mit TR und CR rausgeflogen. Das hast du zwar erklärt, aber dann kamen noch die Stakes und die Forge Essenz dazu, die ich auch wieder erst hätte googeln/nachlesen müssen, was ein Mikro-zu-Makro-Shift ist, weiß ich auch nicht und ich hatte schlicht keine Lust, mir jetzt noch 3 Links durchzulesen, um zu verstehen, was du meinst. Nun bin ich aber auch keine leidenschaftliche Rollenspieltheoretikerin, insofern hats vielleicht auch einfach jeder Leser außer mir verstanden. 😉

        Ein RPGnossar wäre natürlich allein schon wegen des Namens super *g*

        • RPGnosis sagt:

          Der „Stake“ ist der „Einsatz“, also das, worum’s bei einer Probe geht. In klassischer TR-Manier ist das „Erfolg oder Misserfolg“, evtl. noch abgestuft nach Qualitäten oder sowas. In der CR ist das generell offener als „Fortgang der Szene“ gesetzt; wie im Beispiel könnte man also sagen, dass eine Klettern-Probe nicht festlegt, ob man die Wand hochkommt oder nicht, sondern ob man beim Hochkommen z.B. Schaden erleidet.

          Der Mikro-zu-Makro-Shift taucht in dem verlinkten Wolkenturm-Artikel in den Kommentaren auf, denn es gibt bei CR generell die Tendenz, eine „Probe“ eben nicht als „Aktion“, sondern als ganzen Problemlösungsprozess zu betrachten. Beispielsweise: ich will an Information X kommen und weiß, dass NSC Y sie hat. Ich habe die Optionen „ihn überreden, sie mir zu geben“ oder „sie aus seinem Haus stehlen“. Bei DSA würde man ganz klassisch dann z.B. bei Entscheidung für Option B einen Bruch planen und detailliert durchführen. In Story-Systemen könnte man stattdessen im Sinne der CR (also zum Auflösen der Szene) eine Probe auf „Einbrechen“ würfeln und dann einfach erzählen, wie man das macht, was passiert, eventuelle Komplikationen sind undsoweiter. Es gibt Leute, die setzen CR mit so einer makroskopischen (also eine Probe für einen ganzen Konflikt) statt mikroskopischen (viele Einzelproben) Problemlösung gleich, andere sagen diese „Spannweite“ von Proben hat mit TR und CR nichts zu tun – verständlicherweise kann sich aber bereits aus diesem Verständnis, wofür man eigentlich Proben würfelt, ein ganz anderer Spielablauf ergeben.

          „Forge-Essenz“ habe ich die kurze Definition genannt, die im ersten Post des verlinkten Artikels stand, und der dort enthusiastisch zugestimmt wurde: CR ist, wenn man vor der Probe schon die Stakes festlegt. In dieser Definition ist ebenfalls die Spannweite von Proben nicht enthalten, deswegen versuche ich im RSP-Blogs-Forum gerade, da aus den Profis, welche den Theoriekram besser kennen als ich, schlauer zu werden.

          Das Gnossar hätte allerdings das eigene Problem, dass ich den Leuten, die sich dafür interessieren, erstmal breit erklären müsste, dass ich öfter mal Forge-Begriffe in einer BEdeutung benutze, die vielleicht nicht TRV-Forge-ism ist, sondern dass ich versuche, aus diesen Theorien etwas rauszuholen, was beim klassischen Rollenspiel (also das, wo man einen *Charakter* in einer Welt spielt, und nicht nur einen Plotgenerator oder Erzähloptionenobjekt) verwendbar oder hilfreich ist.
          Was ich hier mache soll aber keine reine Forge-Rekapitulation und keine Fortbildung in einzig wahrer Rollenspieltheorie sein, sondern ich möchte selber sowas wie eine sinnvolle theoretische Designgrundlage erdenken; dass das synkretistisch und häretisch ist und ich dafür vielleicht sogar Forge-Begriffe „missbrauche“, stößt bestimmt manchem Theorieprofi sauer auf.

  4. Lujuba sagt:

    In meinen Augen hat das ideale RPG keinen fail beim TR. Nieder mit 20x würfeln, bis man es schafft! Ein schlechter Wurf ist ein Rückschlag und impliziert zusätzlich verbrauchtes Material und/oder Zeit. Je schlechter die Probe, desto länger dauert es, bis ich es endlich auf die Klippe geschafft habe. Evtl. hat der Bösewicht bis dahin tatsächlich die Geisel runtergeworfen und ist seines Wegs gegangen oder nur die halbe Gruppe ist rechtzeitig oben und muss ihn aufhalten, bis der Krieger endlich klappernd und schnaufend ankommt… Kein Fail heißt also nicht, dass keine Niederlagen entstehen können, weil andere parallel ja auch handeln und nicht nur auf die SC warten, es heißt aber, dass der SC, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat und bereit ist, die Zeit und das Material zu investieren, es auch irgendwann schaffen wird… egal, wie sinnvoll der Erfolg am Ende noch ist 🙂

  5. Markus sagt:

    „Nach Regeln gespielt ist jetzt der Plot kaputt…“
    Aber das ist doch kein Problem der Regeln, sondern der Runde oder des Spielleiters. Wer sich derart an einen Plot klammert hat doch die erste Grundregel missachtet: Die Basisimmersion, das Erlebnis der freien Entscheidung! Der Spielleiter ist doch nicht deswegen Spielleiter, weil er gerne mehr als andere liest und Mindestwürfe vorgeben will. Sondern weil es ihm zufällt, an der Stelle dafür zu sorgen, das die Welt weiter existiert, das weitere Abenteuer auf die Helden warten oder die spannende Geschichte auf weitere Helden.

    „Die Erfolgswahrscheinlichkeiten sind ziemlich weird…“
    Wer an dieser Stelle ernsthaft zu rechnen und zu evaluieren anfängt, sollte meinem Verständnis nach lieber Brettspiele spielen. Sinn und Zweck der Regeln eines Rollenspielsystems ist meinem Verständnis nach schon immer gewesen, Konflikte und dramatische Situationen in einem abstrahierten aber plausiblen (niemals realistischen!) Rahmen zu pressen. Und dieser Rahmen ist auf jeden Fall zum Scheitern verurteilt, wenn man ihn als Maß der Dinge nimmt – da er unmöglich alle Situationen des (virtuellen) Lebens abbilden kann. Es gibt Spielsysteme, die sich auf einfache Weise dem anzunähern versuchen und dabei erstaunlich weit kommen. Aber das ist nicht der Punkt.
    Der Punkt ist, das es an dieser Stelle um Geschmack geht. Wer den für sich auf mathematischem Wege ermitteln will, soll daran seine Freude haben. Aber daraus lässt sich weder Objektivität oder Qualität noch lassen sich daraus Dogmatismen ableiten.

    „Die meisten Regelwerke sind sich ihrer Unzulänglichkeiten bewusst…“
    Ich hoffe Du bist Dir Deiner Unzulänglichkeiten bewusst, der Designfehler, die Dir viele eigentlich einfache Dinge im Leben erschweren. Das ist ein unpassender Vergleich? Wieso? Es geht doch hier darum, dass ein Regelwerk auf alle Personen gleich anzuwenden ist, gleich welche Erwartungen, Wünsche und Möglichkeiten sie haben. Und sag mir nicht, dass Du nur noch nicht auf dem Mond warst, weil Du keine Lust hattest.

    Ehrlich, ich halte es nicht für Pflichtvergessenheit, Schlamperei oder einen minderwertigen Anspruch, sondern um die Akzeptanz genau dessen.

    „Das Absurde an der Sache ist, dass sie gleichzeitig sowohl Grund wie auch Lösung auftretender Probleme im Spielgeschehen ist – diese Art des Spielleiterentscheids (…)“
    Hier sind wir fast einer Meinung. Denn Problem wie auch Lösung ist einzig und allein das Verständnis der Spielrunde. Und eine gute Spielrunde hat sich über Wünsche und Ziele verständigt und auch darüber, wie die Regeln anzuwenden und auszulegen sind – ohne dabei vermeindliche Regellücken mit neuen Regeln zu stopfen (was sie natürlich dennoch machen kann). Und in vielen Runden, fällt damit dem Spielleiter eine zentrale Rolle zu und das ist auch gut so. Der Spielleiter ist meinem Verständnis nach eine Art Schiedsrichter, der an der Stelle stellvertretend für das Wohl aller (die Wünsche und Ziele der Spieler) das Heft in die Hand nimmt.

    Die Verständigung ist dabei natürlich auch keine einmalige und dann abgehakte Sache, sondern ein kontinuierlicher Prozess, der dazu führt, das die Vereinbarkeiten bei den Spielern gesucht und gefunden werden und sich damit der individuelle Spielstil der Spielrunde konstituiert.

    Der Rest des Beitrages klingt für mich in etwa so, als wenn Du als Schaffner versuchst einen ohnehin schon argumentativ entgleisten Zug trotzdem tapfer weiter zu steuern. Konsequenzen von Proben, Anpassung der geschichtlichen Entwicklung, … Das sind doch alles die wesentlichen Bestandteile des Spielleiterhandwerkes. Nicht das Würfeln oder das definieren von Mindestwürfen.

    • Feyamius sagt:

      Andreas hat allein dann schon meinen vollsten Respekt, wenn er rausknobeln kann, was du ihm damit sagen wolltest. 😉

    • RPGnosis sagt:

      Ich bin mir nicht sicher, ob ich genau verstehe, was du meinst, aber hier: >>>Wer an dieser Stelle ernsthaft zu rechnen und zu evaluieren anfängt, sollte meinem Verständnis nach lieber Brettspiele spielen. Sinn und Zweck der Regeln eines Rollenspielsystems ist meinem Verständnis nach schon immer gewesen, Konflikte und dramatische Situationen in einem abstrahierten aber plausiblen (niemals realistischen!) Rahmen zu pressen. Und dieser Rahmen ist auf jeden Fall zum Scheitern verurteilt, wenn man ihn als Maß der Dinge nimmt – da er unmöglich alle Situationen des (virtuellen) Lebens abbilden kann. <<>>Aber das ist doch kein Problem der Regeln, sondern der Runde oder des Spielleiters.<<>> Es geht doch hier darum, dass ein Regelwerk auf alle Personen gleich anzuwenden ist, gleich welche Erwartungen, Wünsche und Möglichkeiten sie haben.<<>> Denn Problem wie auch Lösung ist einzig und allein das Verständnis der Spielrunde. <<>> Konsequenzen von Proben, Anpassung der geschichtlichen Entwicklung, … Das sind doch alles die wesentlichen Bestandteile des Spielleiterhandwerkes. <<<
      Das ist in der Praxis so, aber, wie ich meine, primär aufgrund unzureichender Regelwerken. Man sollte hier klar trennen zwischen notwendigen Aufgaben des Spielleiters (Schiedsrichterrolle, Darstellung der Spielwelt, Reaktion auf Spieleraktionen, Handlung von NSCs gemäß derer Agenda etc.) und solchen, die ihm eigentlich ein gutes Regelwerk möglichst abnehmen oder zumindest erleichtern sollte – etwa die Interpretation von Würfen, das möglichst einfache Festlegen von Schwierigkeiten, den reibungslosen Ablauf von Regelanwendung. Ein gutes Regelwerk unterstützt den Spielleiter so viel es geht – es schafft Verlässlichkeit für alle Beteiligten und erlaubt dem SL, sich auf seine wichtigeren, kreativen Aufgaben zu kümmern. Je mehr Spielleiterentscheidungen ein Regelwerk benötigt, desto mehr "cognitive load" produziert es für den, und erschwert ihm damit seine Arbeit.

      • Markus sagt:

        >>Interpretation von Würfen, das möglichst einfache Festlegen von Schwierigkeiten, den reibungslosen Ablauf von Regelanwendung (…)<<
        Rollenspiel-Bücher geben für die Interpretation von Würfen und dem Festlegen von Schwierigkeiten die Basis mit. Und alles andere ist doch nicht von den Regeln, sondern von der Spielwelt, der Situation und den Spielern abhängig. Wie soll ein einzelnes Regelwerk universelle Individualität abbilden? Es muss doch an der Stelle an der Oberfläche bleiben und den Rest den von der Spielrunde definierten Rahmenbedingungen unterwerfen (und mit Rahmenbedingungen meine ich das, was andere auch gerne als Gruppenvertrag bezeichnen).
        Und die geforderte Verlässlichkeit geht genau so an der Realität vorbei, wie auch im wirklichen Leben Regeln niemals von allen eingehalten werden können (vermutlich der Grund, weswegen es so viele Anwälte gibt). Diesen Anspruch kann man höchstens auf ein Brettspiel anwenden, das nicht den Anspruch hat, eine virtuelle Welt mit freier Entscheidung und Entfaltung abbilden zu wollen. Das heißt, es läuft immer auf die Beleuchtung individueller Umstände hinaus und dieses "cognitive load" wird meinem Verständnis nach in einer guten Spielrunde nicht vom Spielleiter, sondern von allen Spielern getragen.

        • RPGnosis sagt:

          >>> Rollenspiel-Bücher geben für die Interpretation von Würfen und dem Festlegen von Schwierigkeiten die Basis mit. Und alles andere ist doch nicht von den Regeln, sondern von der Spielwelt, der Situation und den Spielern abhängig. <<<
          Völlig richtig – aber was ist "alles andere"? Das ist die Schnittstelle, wo Regeln wirklich auf dem Prüfstand stehen. Natürlich fordere ich nicht, dass Rollenspielregeln "jede Situation abdecken" oder "alles in der Spielwelt geregelt ist" – im Gegenteil, wie schon früher gesagt bin ich durchaus für wohlkalkulierte Unschärfe, die auch Interpretationsspielraum bietet. Aber: soweit als möglich sollte die Notwendigkeit von Interpretationen durch den SL möglichst klein gehalten werden. Denn natürlich kann jede Gruppe Regeln abändern und anders handhaben, damit sie besser zu ihnen passen. Aber im Kern sollte man Regeln "by the book" spielen und dadurch die Spielwelt so erleben können, wie sie im entsprechenden Hintergrund beschrieben ist. Wenn man diesen Anspruch beim Designen eines klassischen Rollenspiels gar nicht hat (und z.B. sich gar nicht darauf festlegt, wann Proben nun eigentlich nötig sind, ob sie aus dem Metagame [Spannung oder Drama] oder aus der Spielweltsituation [Schwierigkeit einer Aufgabe] kommen), macht man in meinen Augen was falsch (again: als Autor, nicht als Spieler!).

          Das schlägt auch in die Kerbe dessen, was ich mit "Verlässlichkeit" von Regeln meine. Und es ist auch eine Diskussion über den Blick auf Regeln aus Perspektive eines Anwalts oder eines Wissenschaftlers – es geht hier in meinen Augen um die Grundsatzfrage, ob Regeln nachrangig gegenüber dem Metaspiel sind, oder ob man nicht besser fahren könnte, wenn sie ein essentieller Bestandteil des SIS sind. Das ist natürlich eine Forderung, bei der viele (wenn nicht die meisten) bestehenden Regelwerke eher durchfallen – aber für einen Regeldesigner ein entscheidender Punkt. Ich behaupte aber, gerade ein klassisches Rollenspiel, das langfristig von freien Entscheidungen und Entfaltung der Charaktere lebt, würde von dieser Sichtweise profitieren.

          • Markus sagt:

            >>Und es ist auch eine Diskussion über den Blick auf Regeln aus Perspektive eines Anwalts oder eines Wissenschaftlers – es geht hier in meinen Augen um die Grundsatzfrage, ob Regeln nachrangig gegenüber dem Metaspiel sind, oder ob man nicht besser fahren könnte, wenn sie ein essentieller Bestandteil des SIS sind.<<
            Vielleicht tue ich mich einfach schwer damit, zwischen das Metaspiel aus den Regeln heraus getrennt zu betrachten und dann dem Rest gegenüber zu stellen. Und die Interpretation der Regeln durch die Spielrunde bedeutet in der Regel ja nicht Verwässerung oder Änderung, sondern die Nutzung der eingebetteten Freiräume, wie z.B. wann genau eine Probe erforderlich wird und wie hoch exakt der Schwierigkeitsgrad ist, was aus gutem Grund ja nirgends so vorgestellt wird, dass alle Eventualitäten damit abzudecken wären. Meiner Meinung nach gibt es auch kein objektives "by the book" oder RAW, denn niemand wird ein Rollenspiel alleine durch RAW bestreiten können, da es eben der Leerraum zwischen dem Geschriebenen ist, der einkalkulierte Interpretationsspielraum, der aus einem rein taktischen Spiel ein Rollenspiel macht. Und an der Stelle kommen wir meiner Erfahrung nach nicht an einen qualitativ bewertbaren Raum, sondern in den Bereich des persönlichen Geschmacks.

          • RPGnosis sagt:

            >>> Vielleicht tue ich mich einfach schwer damit, zwischen das Metaspiel aus den Regeln heraus getrennt zu betrachten und dann dem Rest gegenüber zu stellen. <<<
            So geht’s mir ja auch – darum will ich das hier ja auch diskutieren, weil ich selbst designe und die Schnittstelle zwischen Metaspiel und Spiel(welt)regeln eben ein ganz kritischer Punkt in Rollenspielregeln ist.

            >>> die Interpretation der Regeln durch die Spielrunde bedeutet in der Regel ja nicht Verwässerung oder Änderung, sondern die Nutzung der eingebetteten Freiräume, wie z.B. wann genau eine Probe erforderlich wird und wie hoch exakt der Schwierigkeitsgrad ist, was aus gutem Grund ja nirgends so vorgestellt wird, dass alle Eventualitäten damit abzudecken wären. <<<
            Das würde ich trennen – sicher braucht ein Regelwerk Freiräume, manchmal sogar relativ große, aber woran ich mich stoße, ist, dass nicht einmal die Kernkomponenten (wie beispielswesie in diesem Artikel gesagt: *wann* überhaupt eine Probe abgelegt werden soll) so wirklich klar sind – und aus dieser Schwammigkeit erwachsen mEn ein großer Teil der Probleme, den Spielrunden intern haben können (wie unterschiedlicher Spielstile durch unterschiedliche Ansprüche an die Regeln), und die, glaube ich, in weiten Teilen durch bessere Regeln eben vermeidbar wären. Wenn beispielsweise ein Regelwerk klar sagt, dass eine Probe genau dann nötig ist, wenn die Aufgabe in der Spielwelt schwierig genug ist, dass sie nicht jedermann von der Straße schaffen kann – das wäre im Prinzip SRR und klassische TR. Wenn dagegen drinsteht, dass eine Probe nötig ist, wenn sie "die Szene weiterbringt" oder "eine dramatische Situation ergibt", dann ist das deutlich schwammiger und geht in Richtung CR – allerdings auch hier ohne klar zu machen, ob Proben eher ein Werkzeug der Spontaneität oder des "geplanten Dramas" sein sollen. In einer Runde ohne festen Plot kann ein unvorhergesehener Autounfall eine dramatische Wendung sein, die alle Spieler in eine neue Situation bringt und so das Spiel spontan weiterbringt – in einer eher gescripteten Runde dagegen wäre ein unerwarteter Unfall eines Charakters dagegen vielleicht stark hinderlich für den Plot.

            Meine These ist, dass Regeln, die im Geiste des SRR designet sind und mit denen konsequentes TR so funktioniert, wie die Spielwelt das vorsieht,"besser" sind als solche, die von vornherein schwammig und eigentlich nur auf CR ausgelegt sind, . Und zwar in dem Sinne, dass sie auch ein Spiel nach CR und Metaansprüchen erlauben (indem man z.B. einfach Proben weglässt oder sie im Sinne der CR interpretiert), während letztere aber nicht zur "Spielweltsimulation" dienen können, da ihre Funktion (z.B. wegen seltsamer Wahrscheinlichkeiten oder "Metagame-Kontamination") nur auf CR und "Drama" abzielt.
            Das heißt nicht, dass CR-Regeln nicht auch sehr funktional sein können, aber eben nur auf die Weise, wie sie vorgesehen sind.

            Das Festlegen von Schwierigkeiten ist auch so ein Punkt, wo ein Regelwerk einen guten Mittelweg zwischen Detail und Freiheit bieten muss – nicht zu viele zu detaillierte Faktoren, aber auch keine Beliebigkeit. Das ist keine triviale Sache – aber in meinen Augen qualitativ eine ganz andere (und letztlich weniger entscheidende) Baustelle als die Frage, wann man eine Probe ablegen muss.

  6. Markus sagt:

    Für mich wird hier die taktische Komponente (*wann* wird *was* gewürfelt) zu weit in den Vordergrund gerückt. Ich setze den Schwerpunkt seit vielen Jahren auf eine harmonische Abstimmung mit meinen Spielrunden, die ich als kontinuierlichen Prozess verstehe. Und an der Stelle kann ich keine qualitative Hierarchie in den beiden Ansätzen erkennen, lediglich zwei unterschiedliche Ansätze, die durch unterschiedliche Ziele der Spieler zustande kommen.

    • RPGnosis sagt:

      Genau diese „taktische Komponente“ ist aber doch das Interessante, wenn es um das Funktionieren von Rollenspielen aus theoretischer Sicht geht. Also, wie Spielweltregeln, Metagameregeln und die konkrete Interaktion am Spieltisch zusammenhängen und sich gegenseitig beeinflussen. Und aus Designerperspektive muss man darauf nochmal aus einem anderen Blickwinkel schauen als aus reiner „Anwendersicht“. Darum geht’s mir hier – keinesfalls, Leuten zu sagen, sie spielen „falsch“, sondern eher, was man für klassisches Rollenspiel von erzählerischen Spielen lernen kann.

  7. Curthan sagt:

    Von deinen drei Problemen ist meiner Meinung nach das Dritte die direkte Folge des zweiten (unpassende Wahrscheinlichkeiten sorgen bei häufiger Anwendung für unplausible Ergebnisse), während ich das erste NICHT als Problem der Regeln sehe.

    In allen deinen Beispielen liegt Railroading vor, die Helden müssen die Klippe erklimmen oder sie dürfen den Bösewicht nicht rechtzeitig enttarnen. Selbst noch ausgefeilte Würfelmechanismen können das nicht verhindern, denn TR ist – wie du später ausführst – eben immer ergebnisoffen (außer das Hindernis ist gar keines und die Probe gelingt immer). Wenn der Spielleiter railroaden will, muss er das Abenteuer narrensicher gestalten oder die Konsequenzen in Kauf nehmen (Scheitern, Würfeldrehen). Besser ist es, eben keine obligatorischen Würfelproben einzubauen oder immer mehrere Möglichkeiten zum Ziel anzubieten. Oder man verzichtet sowieso auf die Proben oder wendet CR an und stiehlt sich so aus der Affäre.
    Was ich sagen will – harte TR und Railroading verträgt sich nicht, und zwar (fast) unabhängig von der Art der Würfelprobe.

    Ansonsten stimme ich dir in den meisten Aussagen zu, kurz gesagt sollte:
    -die Chance auf kritische Ergebnisse niedrig sein.
    -die Erfolgschance bei alltäglichen Handlungen sehr hoch sein.
    -die Streuung der Würfelergebnisse im Vergleich zu den Werten und Modifikatoren nicht zu hoch sein.

    In Anbetracht dieser Punkte wundert es mich irgendwie, dass du für dein System einen einzelnen Würfelwurf wählst. Denn das verursacht einige Probleme, die du auf anderem Weg wieder lösen musst:
    -Bei manchen Proben muss die hohe Streuung gezügelt werden (statische Proben).
    -Kritische Ereignisse sind in traditioneller Ausführung eher häufig. In manchen Wertebereichen kommen sie also nicht vor.

    Nicht dass eine Probe mit einem Wrfel keine Vorteile hätte, sie punktet eben bei Geschwindigkeit und durch die einfache Einschätzung des Erfolgs. Nur für realistische Ergebnisse würde ich mehrere Würfel doch vorziehen.

    Im Ulisses-Forum habe ich in diesem etwas längeren Beitrag versucht, die Anforderungen aus dem verlinkten Vortrag für eine Median-Probe umzusetzen (http://www.ulisses-spiele.de/forum/viewtopic.php?f=205&t=4067&start=80#p59048).
    In der Praxis bin ich aber der Meinung, dass gerade die Forderung nach unterschiedlichem Glückseinfluss am Spieltisch nur selten relevant ist. Wenn der Grundmechanismus nicht zu glücksabhängig ist, lohnt sich die Variation des Grundmechanismus meiner Meinung nach nicht.
    Da scheint mir die sinkende Varianz für Profis und natürlich die steigende Erfolgschance deutlich wichtiger.

    • RPGnosis sagt:

      In den ersten Beispielen geht es nicht nur um Würfelsysteme, sondern allgemein um die regeltechnischen Möglichkeiten der Spielwelt (z.B. das Vorhandensein von Hellsichtsmagie) – das ist schon nochmal eine andere Baustelle.

      Zu deinen anderen Punkten stimme ich einfach mal zu.

      Zum 1W-System bei Triakonta: Proben mit einem Würfel zu machen ist schnell und einfach, das ist immer ein Vorteil gegenüber mehreren Würfeln. Die Dinge, die du genannt hast (Streuungsreduktion, nicht zu viele Crits etc.) sind ins Regelsystem gut integriert und greifen weiter als auf den bloßen Probenmechanismus; etwa die Beschränkung der Qualität auf FW/3, die sich z.B. gleichzeitig im Kampf auf den Zusatzschaden auswirkt, und auf der anderen Seite den Bereich des optimalen Ergebnisses mit steigendem FW vergrößert.
      Die Alternative, eine andere Ergebnisverteilung über einen Würfelpool zu erhalten, ist in meinen Augen keine so gute Lösung – es greift kürzer als das tiefergehende Regeln zur Auswertung der Würfe könnten, und bringt z.B. Probleme bei Proben mit sich, die einen unterschiedlichen Glücksanteil haben. Geringe Streuung und hohe Erfolgschance bei hohen Werten ist schön und gut beim Schachspiel, aber eher schlecht bei vielen Kartenspielen.
      Wobei’s dabei natürlich nicht nur um die Glücksabhängigkeit geht, sondern vor allem auch um Unvorhersehbarkeit und Chaos – denn der Würfel kann ja auch der Komplexitätsreduktion dienen.

      Interessante Sache, diese Medianproben; müsste man sich für DSA5 nur leider von zu vielen anderen etablierten Dingen verabschieden, als dass sowas realistisch kommen würde.

      • Curthan sagt:

        Glücks- und Umgebungsabhängigkeit (damit fasse ich die gewünschte Streeung des Ergebnisses der Würfel zusammen) kann man bei der Medianprobe über die Zahl der Würfel einbringen. Je mehr Würfel, desto weniger Streuung. Fürs Pokerspiel könnte man 1W20 werfen, und für Schach 5W20. Ohne einen großen Mehrwaufwand ist damit die Streeung beim Schach deutlich geringer.

        Wie du schon gesagt hast: Das Problem ist, dass das nicht sehr gut mit dem angedachten Konzept der Spezialisierungen (+1 Würfel, man nimmt den oberen Median/den zweithöchsten Wurf) zusammenpasst, da die Auswirkungen bei dem 1W20 Wurf viel zu stark wären. Insgesamt entscheide ich mich hier eher für die Spezialisierungen und gegen unterschiedliche Umgebungsabhängigkeit, da ich letztere bei DSA eigentlich nie vermisst habe. Der große Immersionsbrecher waren stets die Attributsproben, aber bei Talenten war nie jemand unzufrieden. Insofern würde ich sehr moderat glockenförmigen 3W20 Wurf als Standard ansetzen und als Ausweichmöglichkeit 5W20 offen lassen.
        Die Spezialisierungen sind insofern sehr nett, als dass sie quasi alle Anforderungen mitbringen: Höher Durchschnittswert, geringere Chance auf schlechte Ergebnisse, geringere Streuung, höhere Chance auf einen kritischen Treffer und geringere Chance völlig zu versagen. Die Auswirkungen wären bei einer 5W20 Probe übrigens stärker als bei einer 3W20 Probe, insofern würde die Spezialisierung beim Schach stärker durchschlagen als beim Kartenspiel – passt.

        Nun ja, die Beschränkung der Qualität bei FW/3 ist letzlich Geschmackssache. Das steigende maximale Ergebnis hat man (bei einer festen Schwierigkeit) ohnehin, nur eben nicht zu einer großen Häufigkeit. Bei mehreren Würfeln und ohne Cap liegt das maximale Ergebnis höher, ist aber ziemlich selten – im Gegensatz zu unmöglich. Extremfälle treten schon per se seltener auf, weswegen ein Cap nicht unbedingt nötig ist.
        Wie die Interpretation der Ergebnisse aussieht, zum Beispiel über den Schaden im Nahkampf, ist davon eigentlich unabhängig. Bei Triakonta würde der Kämpfer oft maximalen Schaden machen, bei einem Median würde er meistens etwas mehr Schaden anrichten und nur sehr selten den deutlich höheren Maximalschaden. Das finde ich auch nicht weniger plausibel.

        Ähnlich sieht es mit den Patzerregeln aus. Persönlich mag ich ein kleines Restrisiko auch für Profis und empfinde das auch als realistisch, Nur lässt sich sowas nur schwer objektiv begründen.

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