Rollenspiel für Kinder (2): Das erste Mal Pen & Paper!

Inzwischen habe ich die ersten beiden Male einen kurzen Tutorial-Dungeon mit meiner Tochter (die ich aus Datenschutzgründen auch künftig so nennen werde, bis sie einen Charakternamen hat) gespielt und möchte hier kurz davon berichten.

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Hintergrund

Wie im ersten Artikel dieser Reihe dargestellt, habe ich ein eigenes Regelsystem für Fantasy-Rollenspiele entworfen (Arbeitstitel FaRoKi) auf einem Komplexitätsgrad, von dem ich denke, dass meine Tochter (mit etwas Übung) damit klarkommen könnte. Insbesondere das klassenlose Charaktersystem mit insgesamt etwa 20 Werten ist für ein Vorschulkind natürlich schon eine Hausnummer, aber abspecken und handwedeln kann man immer – und besser man hat schon was in der Hand, das man ad hoc vereinfacht, als dass es zu simpel beginnt und dann schnell langweilig wird. Wie schon gesagt wollte ich direkt losspielen können, ohne ihr schon vorab Informationen etwa über eine Hintergrundwelt vermitteln zu müssen; das Spielkonzept sieht vor, dass sie bzw. ihre Figur ein Auserwähltes Wesen ist, dass, wenn es „auf einer Mission“ stirbt, an einem Weltennexus wiedergeboren wird, gemeinhin mit – ingame – erstmal keinen oder nur wenig Erinnerungen an das bisher Erlebte.

Und so startet auch die erste Session, in einer Art „Trainingsdungeon“ dieses mystischen Ortes, an dem sie sich erstmal umschauen und die wichtigsten Spielprinzipien (Charakterbogen, Werte, Proben, Entscheidungen treffen und ausbaden etc.) kennenlernen kann. Natürlich ohne Gedächtnis, da sie vorher wohl irgendwo ins Gras gebissen hat. Das ist insofern besonders geschickt, dass das Spiel mit direkter Ansprache ihrerseits beginnen und sie sofort in der ersten Person die Spielwelt erleben kann, ohne sich vorab theoretische Gedanken über ihre Figur machen zu müssen. Nichtmal einen Namen braucht sie schon vor dem Start festzulegen – auf ihrem Charakterbogen habe ich einige Startwerte eingetragen, die sie später noch ergänzen darf.

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Session 1: Ebene der Wiedergeburt

Der unmittelbare Einstieg war direkt eine Szenenbeschreibung: du erwachst ohne Gedächtnis in einem leuchtenden Kreis aus Kerzen und kannst dich an rein gar nichts erinnern. Tochter nimmt klugerweise gleich eine Kerze mit (die erste Ausrüstungskarte) und verbringt über eine Stunde Spielzeit konzentriert damit, das kleine Dungeon-Level aus insgesamt acht Räumen bzw. relevanten Gängen zu erkunden, den ich ihr entsprechend ihres Erkundungsfortschritts aufgemalt habe. An Herausforderungen gab es neben klemmenden Truhen, Hebeln, die Steintüren öffnen und einer Grube, an der vorbeibalanciert werden musste vor allem einen Raum mit magischem Gegenwind. Einige Startausrüstung war zu sammeln (vor allem Gewand und etwas Reisebedarf), wobei ich meistens mehrere Karten zur Auswahl vorbereitet habe: Kleid oder Hose und Hemd? Dünnen Kapuzenumhang oder warmen Fellmantel? Rucksack oder Umhängetasche? Fackeln oder eine Kerzenlaterne? Das hat ihr nicht nur Spaß gemacht, sondern vor allem hat sie ausgewählt wie eine abgebrühte Abenteurerin („Ich nehm den Mantel weil der ist dicker und wenn mich dann ein Monster trifft tut es weniger weh“) bzw. direkt auf die Lösung von Problemen vor Ort bezogen. Beispielsweise hat sie sich anstatt der Fackeln für die Laterne entschieden, weil die der Zauberwind, durch den sie durchmusste, nicht auswehen kann – eine Erfahrung, die sie vorher schon mit ihrer Kerze in der Hand gemacht hat. Auch hat sie nach dieser Unannehmlichkeit Kerzen in mehreren Räumen und Gängen aufgestellt, damit sie nicht mehr durchs Dunkel muss, falls ihr wieder das Licht ausgehen sollte. Immer wieder habe ich nebenbei kleine Informationen einfließen lassen, worauf sich langsam ein erstes Bild der Spielwelt formt: „Kann ich eine Taschenlampe anschalten?“ – „Du hast keine Taschenlampe, genau genommen kennst du gar keine, ebenso wie Strom, Internet, Autos, Telefone… davon hast du noch nie gehört.“ – „Aber es gibt Pferde und sowas?“ – „Jawohl, und Kamele, Kutschen und Fußgänger. Aber keine Fahrräder. Wie in einer Märchenwelt“. Die erste Session endete vor der Treppe nach oben in die nächste Ebene, vereinbart aus Zeitgründen – Tochter hätte auch noch länger weiterspielen können.

Bemerkenswert fand ich neben dem genannten Problemlösungsbewusstsein von ihr, dass sie anscheinend keine Schwierigkeiten hatte, eine Stunde konzentriert durch zu spielen; da habe ich von anderen Kinderrunden schon ganz anderes gelesen. Lag aber bestimmt auch daran, dass wir nur zu zweit waren erstmal und sie dementsprechend voll drin und ohne Ablenkung. Und dann auch noch, dass man „Jumpscares“ lieber außen vor lassen sollte – als sie den Raum mit dem magischen Gegenwind betrat, habe ich diesen mit einem entsprechenden Geräusch und etwas Gestik dargestellt, was ihr in ihrer Immersion dann glatt zu viel war und sie erschreckt hat, so dass wir eine kurze Unterbrechung machen mussten. Was aber auch ging, der Wiedereinstieg ins Spiel war kein Problem, nur musste ich dann eine Zeitlang neben ihr statt gegenüber sitzen. Anfangs war außerdem unsere Rollenverteilung noch nicht immer ganz klar: als ich angefangen habe, ihr eine Karte des ersten Raums zu zeichnen, hat sie gleich selbst zum Stift gegriffen und wollte mitbestimmen, wie es wo weitergeht. Wir haben uns geeinigt, dass dieses erste Abenteuer aus der Welt in meinem Kopf kommt, die sie erstmal erkunden darf, aber für spätere Sessions kann ich mir durchaus vorstellen, mit ihr ganz vorbereitungslos und nur auf Basis ihrer spontanen Ideen bzw. generell mit viel player empowerment zu spielen.

Auch eine erste Kritik am Charakterbogen gabs schon, sie möchte die Symbole für Stärke und Zähigkeit vertauscht haben, ebenso wie inhaltlich: „Ich dachte, ich kann hier auch Monster besiegen?“ – aber Kämpfe bzw. generell NSC gab’s auf der ersten Ebene halt noch nicht.

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Session 2: Ebene des Übergangs

Der Einstieg in den zweiten Termin fiel Tochter leicht, obwohl eine ganze Woche dazwischenlang. Sie erinnerte sich, wie man Proben würfelt und konnte anhand der Karte problemlos rekapitulieren, was sie bisher erlebt hat. Dementsprechend ging es die beim letzten Mal entdeckte Treppe nach oben und auf die zweite Ebene des Dungeons der Wiedergeburt. Diesmal hatte sie nicht so einen hohen Erkundungsdrang und dementsprechend zwei Räume liegengelassen, die nicht auf ihrem eingeschlagenen Weg lagen. Sie entdeckte ihren ersten NSC und künftigen Begleiter, ein munteres (für sie) sprechendes Wiesel, scheiterte zunächst an einer Rätseltür, suchte sich einen Alternativpfad (den sie per Probe öffnen konnte), schlich durch einen Raum voller schlafender Wächterstatuen, ließ sich von einer Teleporterfalle nicht aus dem Konzept bringen (auch hier fand sie einfach einen anderen Weg) und durchquerte einen Wald, in dem sie auch nach essbaren Beeren suchte und ein Lager errichtete. Die Session endete vor zwei magischen Portalen, wo sie sich entscheiden musste, wie es beim nächsten Mal weitergeht: eine riesige Stadt (ihr Tanelorn) oder ein idyllischer Waldhang (in der Welt, wo sie in der Vorgeschichte bereits einmal gescheitert ist). Sie entschied sich für letzteren Weg, „weil ich geh da hin wo mehr Sonne scheint“ und unser Spiel endete mit ihrem erneuten Erwachen in einem kleinen Lager. Auch hier hätte sie noch gerne weitermachen können, das Spielende hat sie etwas enttäuscht.

 

Nachbetrachtungen und Ausblick

Die vielleicht wichtigsten Erkenntnisse nach diesem ersten Spiel sind für mich: unterschätzt Kinder nicht, wenn es um Konzentration, Immersion und auch Interaktion mit der Spielumgebung zur Problemlösung geht. Die 1-zu-1-Situation war hier sicher extrem hilfreich, weswegen ich dieses Setup gerade für den Einstieg ins Hobby sehr empfehlen möchte. Mit mehreren Kindern am Tisch wird es sicher deutlich schwieriger, aber um Rollenspiel zu lernen, ist eine solche sehr fokussierte Spielform in meinen Augen ideal.

Aber überschätzt gleichzeitig auch nicht das noch recht begrenzte Weltwissen und den sich daraus auch noch unvollständigen Wortschatz der Kinder. Erklärt in einfachen Worten und kurzen Sätzen, ermutigt Nachfragen, setzt nicht voraus, dass ein Kleinkind weiß, was ein „Portal“, ein „Kronleuchter“ oder „Zunderschwamm“ ist, und erfreut euch um so mehr daran, wenn es euch dafür das Prinzip eines Teleports erklären kann, weil es so etwas schon mal bei PJMasks gesehen hat. Das Rollenspiel im Vorstellungsraum hat hier gleichermaßen ein schier unerschöpfliches Lern-Potential.

Tochter wechselt übrigens im Spiel zwischen der 1. und 3. Person; sie gibt in direkter Rede Antworten, wenn sie ebenso (von ihrem Wiesel) angesprochen oder ihr die Situation gerade sehr direkt vermittelt wird, wenn sie in Eigeninitiative ihre Handlungen oder Aussagen beschreibt, kam das aber oft in indirekter Rede und (wenn sie gerade schon etwas anderes vor hat) geradezu lakonisch knapp; so hätte die Kennenlernszene mit ihrem Vertrautentier auch nach einer halben Minute und einem „ich frage mal ob es mich begleiten will“ zu Ende sein können. Ich kann mich noch gut erinnern, dass das auch für mich in meiner Anfangszeit normal war und werde ihr da sicher nicht reinreden oder Vorgaben von wegen „gutes Rollenspiel(tm)“ machen.

Frustrierende Situationen gab es bisher kaum; zweimaliges Scheitern (einmal ist sie in eine Grube gefallen, konnte aber wieder rausklettern, andernmals hat sie das Tür-Rätsel nicht gelöst und einen anderen Weg gesucht) hat sie nicht wesentlich negativ gestimmt. Es kommt wohl auch sehr drauf an, wie man das als SL darstellt: ob sachlich neutral und mit schnellem Aufzeigen der neuen Handlungsoptionen (go) oder einem „Oh nein, wie schade! Was tust du denn jetzt nur?“ (no go). Aber mal sehen, wie sich das noch entwickelt.

Regeltechnisch sind noch ein paar Dinge offen; beim nächsten Spiel wird es erstmals um Kämpfe, Ausdauerverlust und Regeneration gehen, sowie um Erfahrungspunkte und Charakterentwicklung. Wenn sie diese Brocken ebenso souverän handhabt wie ihre Proben und Werte (sie hat sich viele Symbole schon gemerkt), sehe ich auch wahrlich keinen Grund, die Regelkomplexität runterzubrechen. Am nächsten Spieltermin wird sie also mit ihrem tierischen Begleiter in ihrer ersten „richtigen“ offenen Fantasywelt unterwegs sein. Was darin ihre Aufgabe ist, überlege ich mir noch – ich werde wahrscheinlich erstmal schauen, ob wir für Spaß mal eine Session weitgehend komplett improvisieren. Auf jeden Fall möchte sie bald jemanden finden, der ihr beibringt, wie sie ihre Magie anwenden kann…

 

Soviel für heute – ich freue mich über Kommentare und eigene Erfahrungsberichte eurerseits!

3 Kommentare zu “Rollenspiel für Kinder (2): Das erste Mal Pen & Paper!

  1. Raffo sagt:

    Gerade bei kleinen Kindern können die Unterschiede im Alter extrem sein, magst du deshalb nochmal in den Beitrag reineditieren, wie alt Die Tochter ist? 😉

  2. […] hier und hier zuletzt geschrieben, habe ich mit Tochter im November letzten Jahres begonnen, P&P nach […]

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