Rollenspiel für Kinder (3): Viele kleine Happen

Da ich gerade zu sehr wenig komme, möchte ich wenigstens kurz vom weiteren Verlauf des Einstiegs ins Pen&Paper-Rollenspiel mit meiner kleinen Tochter (knapp fünfdreiviertel) erzählen. Vielleicht liest sie das ja auch in ein paar Jahren und kann sich selbst nochmal dran freuen.

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Was zuletzt geschah

Wie hier und hier zuletzt geschrieben, habe ich mit Tochter im November letzten Jahres begonnen, P&P nach selbstgeschriebenen Regeln zu spielen – und zwar keine bunte Kinderstory, sondern klassische Fantasy, wie sie (mit leichten Abwandlungen) auch eine generische adulte Gruppe erleben könnte. Zum Einstieg siehe die vorherigen Artikel – inzwischen hat Leni, so der Name ihrer Spielfigur, eine verlassene Köhlerhütte untersucht, Spuren verfolgt, einen kleinen Jungen aus einer Höhle gerettet, dessen Vater (mit Hilfe ihres sprechenden Wiesels als Ablenkung) aus den Klauen einer Bande Orks befreit, gemeinsam mit den beiden ein Dorf aufgesucht, Kriegsrat mit dem Bürgermeister gehalten, ist den Spähern, welche losgeschickt wurden, um weitere Orks in der Gegen aufzuspüren, trotz deren Verbot nachgeschlichen und hat sie vor einem orkischen Hinterhalt gewarnt, den man schließlich zusammen abgewehrt hat. Da war sie sehr stolz – weil eigentlich hatte man ihr ja geraten, an dem Tag den Zauberer des Dorfes aufzusuchen, um mit dem über ihren Gedächtnisverlust zu sprechen. War ihr aber in dem Moment nicht wichtig genug, wenn gleichzeitig andere Leute in den Wald gehen.

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Imagination und Tatendrang

Zwischenzeitlich gab es eine Spielpause von etwa 5 Wochen, und oben genannte Handlung verteilte sich auf ca. 4 Sessions von jeweils etwa 45 bis 75 Minuten. Auch nach längerer Spielpause hatte sie keine Probleme, ihre Symbole auf dem Charakterbogen und die Würfelmechanik zu erinnern; zunehmend frustriert sie allerdings etwas, dass sie noch nicht selbst lesen und schreiben kann, aber das ist auch außerhalb unserer Spielsitzungen so.

Einen großen Unterschied zum Spiel mit Erwachsenen stelle ich in der möglichen Beschreibungstiefe fest; mehr als zwei, drei Sätze „Scene-Framing“ am Stück kann Tochter anscheinend schwerlich verarbeiten, ich habe auch schon von ihr gehört, dass es anstrengend für sie ist, sich alles im Kopf vorzustellen. Das liegt sicher mit daran, dass sie noch wenig „Vorlagenmaterial“ hat – wo unsereins sofort Bilder aus Filmen, Büchern und so weiter im Kopf hat, muss sie halt auf ein wesentlich eingeschränkteres Assoziationsnetzwerk zurückgreifen. Sehr hilfreich sind auf jeden Fall Bilder – sowohl Karten als auch spontane Skizzen. Man könnte bestimmt viel gewinnen, wenn man hier Zeit in Vorbereitung investieren und mit vielen Bild-Handouts um sich schmeißen würde. Die Zeit hab ich aber nicht, und genieße es im Gegenteil gerade auch, Setting und Handlung vorbereitungsfrei ad hoc zusammenzuimprovisieren.

Mit Karten hantiert sie eh gern, stellt ihre Figur auf, verfolgt Wege und plant anhand der Visualisierung; das brettspielige liegt ihr offensichtlich intuitiv, aber darin hat sie (etwa durch Hero Quest, Karak oder Andor Junior) natürlich auch schon mehr Erfahrung als im imaginierten Kopfkino. Meine Empfehlung ist auf jeden Fall, beim Spiel mit kleinen Kindern gerade für räumliche Herausforderungen wie Kämpfe, Dungeons und so weiter zum Bleistift zu greifen und wenigstens eine Skizze als Hilfsmittel zu erstellen, denn eine Hanldungsplanung aufgrund rein verbaler Beschreibung geht gerade in spannenden Szenen in diesem Alter (meiner Einschätzung nach) noch über die kognitiven Fähigkeiten kleiner Kinder hinaus. Wichtig ebenfalls: das Kind hier nicht lange warten lassen, sondern mindestens nebenbei beim Zeichnen weiter etwas erzählen. Haltet eure Beschreibungen so kurz wie möglich und vor allem auch die Sprache so einfach wie nötig. Keine „Vorlesetexte“, keine großen Stimmungs-Ansprüche, keine ausufernden Dialoge, das Kind will handeln und entscheiden. Für viele OSRler mag das eh Usus sein, meinereiner muss sich daran vielleicht erst etwas gewöhnen. Die Herausforderung liegt allerdings darin, dass Tochter von sich aus nur wenig Rückfragen stellt – die Erwartung ist anscheinend da, dass sie alle relevanten Informationen von der SL bekommt, und sich daraus ihre Szene im Kopf baut. Wahrscheinlich ist das auch eine altersbedingte Einschränkung, dass sie ihre Imagination noch nicht so lange aufrechterhalten und vor allem aktiv korrigieren kann. Das ist also ein Balanceakt zwischen Kürze und Relevanz. Was aber meist funktioniert, ist eine häppchenweise Informationsvermittlung – Zusatzinfos dann unterzubringen, wenn sie nötig sind, also die Heldin mit irgendetwas interagieren will. Und nach wie vor: die Kinder zu Nachfragen ermutigen, wenn etwas unklar ist, denn wie schon in einem vorherigen Artikel gesagt, ist der Wortschatz in dem Alter einfach noch deutlich eingeschränkter, insbesondere für nicht-alltägliche Dinge (Köhler, Blockhütte, Palisade und so weiter).

Und auch wenn Tochter schon mal das Spiel nach fünf Minuten abbrechen und lieber zusammen am PC spielen wollte – dieses Rollenspiel beschäftigt sie wohl nachhaltig. „Heute habe ich für dich ein Rollenspiel gemacht“ habe ich inzwischen schon mehrmals gehört – dann hat sie meist mehrere Papiere mit Karten und aufeinanderaufbauende „Levels“ gezeichnet, ich darf mir selbst einen Charakterbogen ausfüllen (ich schreibe, sie malt dazu Symbole) und Fähigkeiten aussuchen („Papiermagie“ ist bislang einer meiner Favoriten: „damit kannst du Formen aus Papier herzaubern“ – und dann mittels „Metallmagie“ in Metallgegenstände verwandeln. Ihre Idee, nicht meine). Und dann versucht sie, selbst zu spielleiten. Was meistens nicht allzu lange funktioniert („ich kann nicht mehr weitermachen weil jedes Mal wenn du was sagst, fallen mir so viele Dinge ein, die du noch machen könntest, dass wir gar nicht fertig werden!“), aber nichtsdestotrotz sehr liebenswert ist – und meist enthalten ihre „Abenteuer“ ganze Szenen oder Abwandlungen von dem Spiel, das ich bereits früher für sie geleitet habe, mitunter vor Monaten. Da steckt also schon viel potentielles Herzblut und Feuer drin, dass sie halt nur noch etwas strukturieren lernen muss (siehe Bilder).

A propos strukturieren – Regeln sind dabei meiner Ansicht nach schon nicht unwichtig und werden generell von Tochter ganz kritiklos akzeptiert, auch wenn sie ihr manchmal schnelle Erfolge verwehren. Da ist sie aber hart im Nehmen. Fehlschlag? Nächste Option versuchen. Schaden bekommen? Verband raus und weitermachen. Das Erfolge Zählen fällt ihr sehr leicht und sie nimmt die Würfel und Proben auch positiv als Spannungs- und Entscheidungselement wahr, das „Willkür“ und Diskussionen aufgrund unterschiedlicher Situationseinschätzungen umgeht. Sie neigt dabei insgesamt zu einer eher gerafften, schnell ablaufenden Imagination als dem detaillierten Ausspielen kurzer Szenen; Kämpfe zum Beispiel sollten nicht mehr als zwei, drei Proben für den gleichen Gegner erfordern, bevor sich die Situation wieder deutlich verändert.

Das alles führt zu einer für mich ungewohnten, aber nichtsdestotrotz amüsanten und entspannenden Spielweise – sehr fokussiert und handlungsorientiert, skizzenhaft und wenig detailliert, aber dafür mit sehr fixen Handlungsfortschritten. Ziemlich OSR-mäßig vom Spielgefühl her, nur halt mit kindertauglicheren (beinahe hätte ich geschrieben: besseren, aber ich will ja keinen unnötigen Sreit vom Zaum brechen…) Regeln.

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Zukunftspläne

Als nächstes möchte ich das Dorf-vor-den-Orks-beschützen-Abenteuer abschließen und dabei ein kleines Strategiespiel-Element testen (sie machte schon mehrere Pläne, die Orks im Fall eines Angriffs in eine Falle zu locken und dann aus dem Hinterhalt mit einer Übermacht anzugreifen – wo sie das her hat, weiß ich ehrlich gesagt nicht). Dann sollte sie mal in Kontakt mit dem lokalen Zauberer gehen, dessen Hinweise sie letztlich in den Weltennexus führen, wo sie mehr zu ihrem Hintergrund erfährt.

Mein Fazit nach dem ersten halben Dutzend Sessions: spielt unbedingt mit euren Kindern, auch wenn sie noch klein erscheinen – und zwar am besten erstmal 1:1, mit ganz wenig Ansprüchen, minimaler Vorbereitung, maximaler Offenheit, und redet mit ihnen danach darüber, was ihnen gefällt oder sie gerne machen würden. Ein erfrischendes Erlebnis, echte „Quality-Time“ und eine gute Grundlage für späteres Nerdtum.

Was sich aus meiner Sicht lohnt (lohnen würde), vorzubereiten, sind Handouts in Form von Bildern, Ausrüstungskarten und Kartenmaterial allgemein – und/oder sich ein bisschen im Schnellzeichnen üben. Was sich dagegenen nicht lohnt vorzubereiten: Plots, die länger als zwei Sätze sind, erst recht nicht vorbereitete Handlungsstränge mit Wendungen oder Zeitplan; detaillierte NSC- oder Ortsbeschreibungen.

Gut unterbringen kann man in dieser Art von freiem Spiel natürlich Zufallstabellen aller Art. Als späteres Experiment schwebt mir vor, mir auch einen Charakter zu machen und gemeinsam mit Tochter eine prozedural generierte Hexlandschaft zu erkunden. Dafür bräuchte ich aber noch ein größeres Repertoire an (am besten generischen Fantasy-) Zufallstabellen… wenn ihr da zufällig gute Sammlungen habt oder kennt, bin ich für Hinweise dankbar. Deutschsprachig sollten sie nach Möglichkeit sein und an einem Ort, damit ich nicht lange zusammenklauben und im Spiel übersetzen muss.

Danke schon mal im Voraus, auch für eure eigenen Erfahrungsberichte (oder Fragen), die ich gerne in den Kommentaren lesen würde!

4 Kommentare zu “Rollenspiel für Kinder (3): Viele kleine Happen

  1. Jan sagt:

    Coole Zusammenfassung, danke 🙂 Als Zufallstabelle für Hexes kann ich die aus dem 1e DMG empfehlen. Ist nicht deutsch, aber das Übersetzen geht dabei ja nebenbei, denke ich.

    • RPGnosis sagt:

      Den DMG1 hatte ich auch schon auf dem Schirm, allerdings leider nicht in meiner Sammlung. Hexgeneratoren gibt’s inzwischen glaube ich auch einige im Netz (bzw. Kartengeneratoren).
      Relevanter wären für mich große und diverse Ereignis- und Begegnungstabellen; da habe ich leider noch nix gefunden, was die nach Landschaft sortierten Tabellen aus DSA3 (Handbuch für den Reisenden) toppt.
      Aber danke für den Hinweis dennoch, falls mir der DMG mal günstig ins Haus fliegt, werde ich bestimmt darauf zurückgreifen.

      Aber falls du eh in der Materie drin bist: wie relevant sind denn die inhaltlichen Unterschiede zum DMG2 / dem für AD&D?

  2. Lieber Andreas,
    mir gefällt sehr, was du hier tust. Und ja, auch ich habe die Erfahrung gemacht, dass man Kindern wunderbar spielen kann, dass sie einen überraschen, dass sie mehr hinkriegen, als man ihnen zutraut.
    Zufallstabellen kann ich dir keine nennen, weil ich persönlich mit der ganzen OSR gar nichts anfangen kann. Ich spiele mit den Kindern in letzter Zeit in einer Mousegard-artigen Welt, die eher ans Mittelalter erinnert als an Fantasy. Aber ich gebe zu: einen Dungeon haben wir auch schon mal gespielt.
    Was ich dir noch empfehlen kann, ist diese neue Seite: https://www.kinderrollenspiel.de/, auf der es im März auch einige Livestreams zu rollenspielerischen Themen gibt. Und vielleicht auch bald einen ausführlichen Leitfaden von mir.

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